Samstag, 5. September 2020

Leseprobe "Das Tartarus Projekt" 2

Doch dann wird der Gastgeber der elitären Party in den frühen Morgenstunden gefunden. Oder das, was von Gregory Winter noch übrig ist, nachdem er an den Heizkörper gefesselt, gefoltert und dann angezunden wurde. Nach wenigen Stunden wird klar - Michael Landorff und eine Pokerspielerin namens Alexandra Buschmann waren die einzigen, die weder den Gastgeber, noch irgendeinen der Party-People kannten. Und trotzdem einen Einladung im Briefkasten vorfanden... Wollte der Gastgeber sicherstellen, dass jemand unabhängig von der Polizei seinen Tod aufklärt? So macht sich Michael Landorff auf den Weg zur Mutter des Gastgebers, Maria Winter.


"Maria Winter sah besser aus als am Tag zuvor. Sie war zwar noch immer etwas fahrig in ihren Bewegungen, als sie die gute Kaffeekanne mit passenden Tassen aus der Vitrine holte, aber ihre Augen waren wieder klar und weniger verweint.

„Nehmen Sie ihn mit Milch und Zucker?“, fragte sie Landorff und ihre Stimme zitterte ein wenig.

„Volles Programm, bitte“, nickte er. „Haben Sie eigentlich gewusst, womit Ihr Sohn sein Geld verdient?“

Der Kopf der alten Dame wackelte etwas von links nach rechts, wie ein Pendel.

„Ach, ich habe von diesen Dingen nicht viel Ahnung. Gregory hat einmal versucht, mir das zu erklären, aber ich habe nach einigen Minuten nicht mehr zugehört.“ Sie lächelte ein wenig. „Das können wir alten Menschen ganz gut. Ein verständnisvolles Gesicht machen und an etwas ganz anderes denken.“

Unwillkürlich fiel Landorff seine eigene Mutter ein. Wie wahr …

„Ihnen ist aber schon klar, dass Ihr Sohn nach dem Verkauf seines Unternehmens ein reicher Mann war“, meinte Landorff, schnupperte am Kaffee und setzte hinzu: „Der riecht köstlich!“

„Ein guter Bohnenkaffee, etwas Kakao, Malzkaffee, eine Prise Salz und entkalktes Wasser“, dozierte Mutter Winter stolz und ihre Augen leuchteten kurz. „Ich habe mir nie viel aus Geld gemacht, wissen Sie? Mein Mann, Gregorys Vater, ist früh gestorben und hat uns eine Rente und ein wenig Anlagevermögen hinterlassen. Ich habe halbtags gearbeitet und wir hatten nie große Ansprüche. Mein Sohn zog mit achtzehn von zu Hause aus und hat danach nie mehr etwas von mir angenommen.“

Sie blickte irgendwie verloren aus dem Fenster, durch das man ein Stück blauen Himmel sah, über den sich weiße Schäfchenwolken schoben.

„Wir reden hier über einige Hundert Millionen Euro, manche sprechen sogar von einer Milliarde“, versuchte Landorff zu erklären.

„Das ist so unvorstellbar für mich, dass ich gar nicht darüber nachdenken will“, meinte Maria Winter kategorisch und schob ihm einen Teller mit Keksen zu. „Greifen Sie zu, die hatte Gregory auch immer so gern ...“ Ihre Stimme versiegte und sie schluchzte, holte ein Taschentuch hervor und hielt es sich vors Gesicht.

„War die Polizei nochmals bei Ihnen?“, wollte Landorff wissen. „Dieser Kroning?“

Sie schüttelte den Kopf, schluchzte noch ein bisschen und schniefte dann. „Nein, er hat mir seine Visitenkarte dagelassen, das war alles.“

„Wie gut können Sie mit Ihrer Enkelin, mit Shaneya?“ 

Ihr Gesichtsausdruck sagte alles. „Die Enttäuschung meines Lebens. Ich weiß nicht, woran es liegt … Vielleicht fehlt dem Mädchen die Mutter und Gregory ist auch nicht oft zu Hause. Nicht oft genug, so scheint es. Shaneya ist weder nach ihrer Mutter noch nach ihrem Vater gekommen. Eher haben ihr die verschiedenen Kindermädchen Flausen in den Kopf gesetzt.“

Landorff hielt das für sehr vornehm ausgedrückt für ein Gör, das über jedes männliche Wesen herfiel, das nicht bei drei auf dem Baum war.

„Aber es sieht so aus, als hätte sie ihr Vater auch sehr verwöhnt“, gab er zu bedenken. „Welches Mädchen bekommt schon einen Sportwagen zum 18. Geburtstag und läuft in teuren Designerklamotten zum Einkaufen?“

„Ich denke, mein Sohn wollte damit einiges wiedergutmachen, was er in den Jahren zuvor falsch gemacht hat.“ Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück. „Den Tod von Andrea hat er nie ganz überwunden, auch wenn er es nicht zugeben konnte. Sie war ein feiner Mensch, obwohl wir nicht immer einer Meinung waren.“

„Gab es außer Andrea eine andere Frau im Leben Ihres Sohnes? Hat er Ihnen jemals davon erzählt.“

Maria Winter schüttelte stumm den Kopf. Sie knetet das Taschentuch in ihrer Hand und Landorff sah ihr an, wie schwer es ihr fiel, nicht die Fassung zu verlieren. „Da gab es niemanden. Er hat immer so viel gearbeitet, auch an den Wochenenden, war viel auf Reisen. In seinem Leben hatten Frauen keinen Platz.“

„Oder er räumte ihnen keinen ein“, gab Landorff zu bedenken.  

„Ja, das kann schon sein …“, meinte sie leise und bedächtig. „Oder so.“

Für einige Minuten hingen beide ihren Gedanken nach.

„Was haben Sie eigentlich mit dem Tod meines Sohns zu tun?“, fragte Maria Winter unvermittelt. „Ich meine, warum interessieren Sie sich so für sein Leben?“

„Weil ich herausfinden will, wer es getan hat“, befolgte Landorff eine seiner ältesten Regeln: Wenn möglich so nahe an der Wahrheit bleiben, wie es nur geht. „Ich war Gast bei der Party, die vorgestern Abend von Ihrem Sohn organisiert wurde. Allerdings weiß ich nicht so genau, wie ich zu der Ehre gekommen bin. In meinem Postkasten lag eines Tages die Einladung.“ Er zog etwas ratlos die Schultern hoch. „Vorher habe ich Ihren Sohn nie getroffen. Zwar ein paar Artikel über ihn gelesen, ihn aber niemals persönlich kennengelernt. Also weiß ich nicht, wieso er ausgerechnet auf mich kam.“

„Nun, glauben Sie mir, mein Sohn tat niemals etwas grundlos“, stellte Maria Winter entschieden fest. „Das wäre gegen seine Überzeugung gewesen. Wenn jemand rational und durch und durch logisch dachte, dann war es Gregory. Vielleicht hat er deshalb nach Andrea keine Frau mehr gefunden.“

Das verwirrte Landorff, der sich bereits seit Tagen sein Hirn zermarterte, um Anknüpfungspunkt zum Leben von Gregory Winter zu finden.

Vergebens.

„Ich möchte Sie nicht einfach so hinauswerfen, aber ich muss mich um die Beerdigung meines Sohns kümmern“, sagte sie unvermittelt und ihre Finger verschränken sich so fest ineinander, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. 

„Nein, nein, das verstehe ich schon, verzeihen Sie bitte, dass ich so lange gestört habe“, beruhigte Landorff sie. „Allerdings wird es sicher noch einige Zeit dauern, bis die Untersuchungen abgeschlossen sind und die Leiche Ihres Sohnes freigegeben wird.“

Sie sah ihn mit einem seltsam kalten Blick an. „Das weiß ich auch, aber was soll ich denn sonst machen?“

Da er darauf auch keine Antwort wusste, bedankte er sich für den Kaffee, verabschiedete sich und lief die Treppen hinunter.

            Als er auf die Straße trat, erwartete er irgendwie, die Brünette zu treffen, die ihn ein Loch in den Bauch fragen würde. Doch da war niemand. In der warmen Nachmittagsluft schwirrten Dutzende Mauersegler zwischen den Häusern, Menschen hasteten vorbei, ohne ihn zu beachten. Selbst das Sushi-Lokal hatte bereits geschlossen und drohte damit, erst wieder abends seine Tore zu öffnen.

Landorff trabte los. In Gedanken ließ er das Gespräch nochmals Revue passieren, versuchte es in einen Zusammenhang mit den anderen Fakten zu bringen.

Und scheiterte.

Da war etwas, das im Hintergrund blieb, sich versteckte, wie unter einem Tarnmäntelchen, und sich ins Fäustchen lachte.

Und Landorff hatte keine Ahnung, was es war.

                  

Auf dem Weg zurück zur Parkgarage gingen ihm der junge Kevin Zahlmann und dessen Tod nicht aus dem Sinn. Einbetoniert und die Zunge herausgeschnitten … ein wenig viel an Klischee. Davon war selbst die sizilianische Mafia inzwischen wieder abgekommen.  

Wer wollte damit wem etwas mitteilen? Spätestens wenn die ersten Reporter am Tatort die Fakten sammeln würden, gab es kein Halten mehr. Die grauenhaften Details würden genüsslich in sämtlichen Blättern breitgetreten werden. Und so in Windeseile den skurrilen Tod deutschlandweit bekannt machen.

War genau das geplant?

Oder hatte der junge Zahlmann tatsächlich etwas gesehen, das er nicht hätte sehen sollen?

Aber dann hätte es ein einfacher Schuss auch getan und keine aufwendige Aktion auf einer Baustelle mit dem Risiko, dabei überrascht zu werden.

Ratlos zog Landorff während des Gehens die Gästeliste aus seiner Tasche und überflog sie. Melissa hatte recht. Er kannte niemanden aus der Münchner Schickeria. Natürlich hatte er hie und da ein paar Namen in den Gesellschaftskolumnen aufgeschnappt, aber es fehlten ihm die Gesichter dazu. Es war nicht seine Welt. Dann kam ihm eine Idee: Ich sollte mich auf jene konzentrieren, die Melissa nicht kennt, dachte er. Denn genau die könnten interessant sein.

Also zog er sein Handy aus der Tasche und wählte erneut die Nummer seiner Agentin.

„Hast du schon wieder einen Auftrag für eine Undercover-Aktion für mich?“, begrüßte sie ihn diesmal leicht verstimmt.

„Kommt noch, nur nicht ungeduldig werden“, gab Landorff zurück. „Ich hab dir vor einigen Minuten die Seiten der Gästeliste von Winters Party zugemailt. Kannst du mal die Namen überfliegen und mir sagen, wen du nicht kennst?“

„Ist das jetzt ein Scherz oder bist du betrunken?“, erkundigte sich Melissa mit der ihr eigenen Direktheit. „Ich wette, ich kenne alle auf der Liste. Ich kenne ja sogar dich …“

„Herzlichen Dank, du tust mir soo gut“, knurrte Landorff, während zwei spielende Kinder in der Fußgängerzone versuchten, ihn mit Mini-Fahrrädern in die Enge zu treiben. „Kannst du trotzdem rasch drüberschauen?“

Melissa seufzte theatralisch. „Also gut, für dich. Ich hab ja sonst nichts zu tun. Wirfst du auch ab und zu einen Blick in deinen Online-Kalender? Vergiss den Termin am Freitag nicht.“

„Jaja, ich weiß, der irische Abend mit dem Bürgermeister.“ Landorff räusperte sich. Der wäre ihm glatt entfallen. Er hatte in der Zwischenzeit schon wieder vergessen, wie er überhaupt an diesen verdammten Kalender kommen sollte. Doch da konnte Petra, die Profil-Fälscherin, sicher helfen. Instinktiv kramte er in seinen Taschen nach ihrer Visitenkarte.

„Und? Was sagt die Society-Expertin?“

„Wie ich es mir dachte“, murmelt Melissa vor sich hin, „kein einziger Unbekannter in der Liste. Alles die üblichen Verdächtigen.“

Naja, dachte Landorff, den Versuch war es wert gewesen …

„Warte mal, da ist jemand, von dem ich tatsächlich noch nie etwas gehört habe.“ Melissa klang fast ein wenig aufgeregt. „Alexandra D. Buschmann. Der Name sagt mir gar nichts. Ist aber auch der einzige“, setzte sie nach einem Augenblick entschuldigend hinzu.

„Danke, das war auch schon alles für den Moment“, gab Landorff zurück, legte rasch auf und verhinderte damit eine Diskussion über seine nächsten Termine.

Also Alexandra Buschmann und Michael Landorff. Zwei Leute, die nicht ins Konzept passten. Schnell hatte er den Eintrag auf der Liste gefunden: „Alexandra B. Buschmann, Bodenkirchen.“ Na gut, nicht gerade der Nabel der Welt. Er überlegte kurz. Das war im Nirgendwo, gleich neben Vilsbiburg oder Velden, da drüben an der Grenze zu Niederbayern.

Google Maps wusste es genauer. Bodenkirchen lag eine gute Stunde Fahrt von der Münchner Stadtgrenze entfernt in Richtung Osten. Für Münchner tiefste Provinz.

Eine rasche Personensuche zum Namen Buschmann brachte wenig Details, aber dafür zumindest eine Telefonnummer.

„Buschmann?“, meldete sich auch prompt eine angenehme Stimme, die unternehmungslustig und gut aufgelegt klang.

Nach einem kurzen internen Kampf entschied sich Landorff für seinen wahren Namen. Petra hin oder her.

„Mein Name ist Michael Landorff und es tut mir leid, falls ich Sie stören sollte. Wir waren beide auf der Party von Gregory Winter vor zwei Tagen eingeladen und haben laut meiner Agentin eines gemeinsam – wir passen nicht zum Rest der Truppe.“

Andrea Buschmann lachte ein ansteckendes Lachen. „Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, gestand sie unumwunden. „Sie haben eine Agentin? Wie interessant. Im Sinne von geheim oder so …?“

„Ach was, im Sinne von Literatur“, beschwichtigte Landorff sie und begann zu erzählen. Von der Einladung in seinem Briefkasten, von Gregory Winter und seinem heißen Ableben, von dem bis zum Hals in Beton steckenden Zahlmann Junior und der Gästeliste als ein Who is Who der Münchner oberen Zweihundert. „Auf der nur wir beide eine Ausnahme bilden ...“

„Unglaublich“, meinte sie nach einem kurzen Augenblick. „Ich habe die Einladung – wie Sie ebenfalls – an meine Heimadresse zugestellt bekommen, ich glaube von einer dieser Post-Alternativen, die es heute gibt. Bin da aber nicht mehr so sicher, was das betrifft. Zu Winters Party bin ich dann gegangen, weil ich neugierig war und an dem Abend keinen Termin hatte. Und ganz ehrlich: Bis auf eine Handvoll Leute habe ich überhaupt niemanden erkannt. Und auch die waren mir nur vom Lokalfernsehen oder aus der Zeitung ein Begriff. Aber andererseits, das Essen war gut und der Wein sensationell …“ Sie lachte wieder und es machte sie auf Anhieb sympathisch.

„Ich bin Autor und Journalist“, stellte Landorff fest, „und das Buffet war in der Tat ausgezeichnet. Touché. Ich habe mich zwar mehr an den Whisky gehalten, aber sonst ging es mir wie Ihnen. Ich habe keine Ahnung, warum Winter mich eingeladen hat. Ich habe ihn vorher jedenfalls nie getroffen. Was treiben Sie so, wenn Sie nicht bei der Schicki-Micki-Truppe eingeladen sind und helfen, Zahlmann-Buffets zu leeren?“

„Ich verdiene meinen Lebensunterhalt meist Nachts“, antwortete sie und lachte kehlig. „Ich bin professionelle Pokerspielerin.“"

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