Samstag, 5. September 2020

Leserunde bei LovelyBooks

Ueberreuter hat (in guter alter Tradition) bei LovelyBooks eine Leserunde  für "Das Tartarus Projekt" eingerichtet, zu der ich die Mitglieder der letzten Runden eingeladen habe. Bisher haben nach einem Tag 10 LovelyBook-Mitglieder eine Rückmeldung geschickt und sich für die Runde angemeldet, was mich sehr freut.

Ich hoffe doch, wieder 35 bis 45 Mitleser in der Leserunde begrüßen zu können und hoffe, dass der Platz am Kamin wieder rege frequentiert wird.  

 

Leseprobe "Das Tartarus Projekt" 3

Doch dann gerät alles aus dem Ruder. Geheimdienste, professionelle Killer und die Polizei sind Landorff und Buschmann auf den Fersen. Die Büchse der Pandora steht weit offen und so sehr sich die beiden darum bemühen, sie wieder zu verschliessen, sie werden immer tiefer in das Leben Gregory Winters verstrickt. Seine geheimen Geschäfte, seine Regierungsaufträge, seine Entwicklungen. Tartarus steigt aus der Hölle herauf und offenbar kann ihn niemand mehr zurück schicken. 


"Hatte er in den letzten Tagen sein Glück restlos aufgebraucht? Es konnte nicht mehr lange dauern, bevor sie endgültig zwischen die Fronten geraten und auf der Agenda der Killer landen würden. Dann würde niemand mehr gnädig sein. Das hatten Winter und der junge Zahlmann erleben müssen.

Profis hatten einen Auftrag zu erledigen.

Gnade stand nicht auf ihrer Agenda.

Und auf welcher Seite hatte die Walküre gestanden? Lautete ihr Auftrag einfach: „Erschießen Sie den alten Buschmann und dann sich selbst“ und sie hielt sich bis zuletzt daran? Wer um Gottes Willen macht so etwas? Purer, sinnloser Fanatismus oder selbstlose Hingabe bis zum Tod? Eine Sekte? Eine Terrormiliz? Ein Staat im Krieg? Die Walküre hatte nicht wie ein Mitglied der al-Kaida, des IS oder einer der anderen terroristischen Gruppierungen ausgesehen. Andererseits – nicht alle Fanatiker trugen Dschihadisten-Bärte, Turbane und Pluderhosen.

Landorff wechselte von der Sonnenseite der Straße auf die schattige. Er war völlig durchgeschwitzt. Die heiße Luft aus Afrika versprach heute das Thermometer in neue Höhen zu treiben. Hitzerekord in der Großstadt ...

Misstrauisch blickte er sich immer wieder um, konnte aber selbst mit viel Paranoia keine Verfolger erkennen. Die Handys wogen schwer in seiner Umhängetasche. Alles ältere Modelle, aber jedes für ein letztes Gespräch immer noch gut genug. Und zehn Prepaid-Karten, von Franco dezent über die Theke geschoben, sollten für den Anfang auch genügen.

Ich muss Alex anrufen, schoss es Landorff durch den Kopf. Die Werkstatt kam bereits in Sicht und so zog er sein Smartphone hervor und wählte. Sein Mechaniker Matze, ein Urgestein der schraubenden Zunft, hatte den Mercedes aus Platzmangel hinter zwei anderen Wagen geparkt, die ebenfalls fertig zur Abholung zu sein schienen. Als er Landorff auf der anderen Straßenseite erblickte, winkte er ihm zu und machte sich daran, die Autos umzuparken.

„Sag bloß, du bist schon unterwegs“, begrüßte ihn Alexandra bemerkenswert munter.

„Gleich, kann sich nur mehr um Minuten handeln. Wie war die Besprechung gestern in der Firma?“

„Aufschlussreich, du wirst zufrieden sein“, meinte sie und schlürfte irgendein Heißgetränk. „Ich hab die Leitung provisorisch dem Stellvertreter meines Vaters übergeben, der schon die rechte Hand meines Onkels war und der das Unternehmen kennt wie seine Westentasche.“

„Eine weise Entscheidung“, stimmte Landorff ihr zu und ärgerte sich gleichzeitig darüber, dass keiner dieser Schwachköpfe von Autofahrern anhielt, als er versuchte, die Straße zu überqueren. Jetzt kam auch noch ein riesiger Lkw mit Anhänger herangedonnert …

Matze war bei Landorffs Mercedes angelangt und stieg ein.

In diesem Augenblick riss Landorff eine Druckwelle von den Füßen und schleuderte ihn über den Gehsteig, dann noch über eine Stück Grünfläche und gegen eine Parkbank, deren harte Sitzfläche sich in seine Rippen bohrte und ihm die letzte Luft raubte. Der Schmerz schoss in sein Gehirn hoch, breitete sich aus wie ein glühend heißer Tsunami und brandete wieder zurück. Er schüttelte benommen den Kopf, während der ohrenbetäubende Knall der Explosion in der Ferne verklang wie ein wütend fauchender Dämon auf der Jagd nach verlorenen Seelen.

Seine Ohren klingelten und seine Gedanken waren irgendwo verschüttgegangen. Landorff saß wie betäubt am Boden, völlig verwirrt und abwesend, sein Smartphone immer noch krampfhaft festhaltend, als sei es der Draht zu einem letzten Rest alltäglicher Normalität.  

Alexandra …

Er blickte verwirrt aufs Display und stellte fest, dass die Verbindung tatsächlich noch stand.

„Michael! Was um Himmels willen war das?“, drang es ganz leise an sein Ohr, während rund um ihn das Geschrei und das Gerenne begann. Hupen ertönten, der Verkehr stand still.

Landorff schüttelte verzweifelt den Kopf, wie um den Albtraum loszuwerden. Seine Ohren wurden wieder freier.

„Alex? Bist du noch da?“ Er erkannte seine eigene Stimme nicht.

„Ja! Was ist los?“

„Eine Explosion … auf der anderen Seite der Straße … mir tut alles weh.“

„Bist du verletzt?“

„Keine Ahnung, muss erst … muss erst aufstehen …“, brummte er und rappelte sich hoch. Der Schmerz in der Rückengegend, wo er gegen die Bank geprallt war, war erträglich. Stehen ging auch. „Sieht gut aus“, meinte er zu Alex, doch dann fiel sein Blick auf die andere Seite der Straße und ihm wurde schlecht. „Nein, es sieht gar nicht gut aus …“

Ein großer Krater, zwei Meter tief, erstreckte sich an der Stelle, wo Matze seinen Mercedes geparkt hatte. Von der Fassade der Werkstatt war nicht mehr viel übrig. Von den Passanten und Mechanikern ebenfalls nicht.

Matze …

Landorff wurde schlecht und er wollte nur mehr kotzen. Ein Einsatzwagen hielt an und zwei Polizeibeamte blickten etwas verwirrt und überrascht auf das Chaos.   

„Michael?“ Alex klang besorgt.

Landorff wandte sich ab, mit Tränen in den Augen, und begann, in die andere Richtung davonzugehen. Er kam sich dabei vor wie ein Strauchdieb, ein Verräter, ein Fahnenflüchtiger. Doch er wollte nur weg von der Werkstatt, dem Tod, dem Verderben, den endlosen Fragen.

Weg von der Büchse der Pandora.

„Ich bin gerade gestorben“, sagte er tonlos zu Alex und ein Stück weit stimmte es auch. „Sie haben eine Bombe an meinem Auto versteckt, die ist hochgegangen. Leichenteile liegen überall.“

„Oh Gott …“, flüsterte Alex und er konnte ihre Betroffenheit hören.

Krankenwagen rasten ihm entgegen, die Feuerwehr nahm ebenfalls den Weg über den Gehsteig und er drängte sich in einen Hauseingang, um sie vorbeizulassen.

„Mach dich sofort auf den Weg“, stieß Landorff hervor. „Jetzt! Verlier keine Sekunde, hörst du? Und kontrolliere den BMW, bevor du losfährst.“

„Ich kann ihn fernstarten, keine Bange“, antwortete Alexandra mit einem grimmigen Unterton in der Stimme. Der präzise analysierende Teil ihres Gehirns hatte übernommen. „Wo treffen wir uns?“

„Flughafen München, Terminal 1, Modul E. Stell dich ins Halteverbot, aber bleib im Wagen, lass den Motor laufen. Ich werde dich sehen und komme raus.“

Dann lief Landorff los, immer mit dem Rücken zur Unglücksstelle, den Kopf gesenkt wie ein wütender Bulle, der sinnlos gegen eine Meute von Matadoren antrat und dessen Tod doch schon beschlossene Sache war. Die Tränen liefen ihm über die Wangen.

Der Taxifahrer, zu dem er ein paar Hundert Meter weiter in den Wagen stieg, streckte neugierig seinen Kopf aus dem Fenster und versuchte, von seinem neben ihm geparkten Kollegen den Grund des allgemeinen Verkehrsstaus zu erfahren. Als er Landorff die Tür zuschlagen hörte, wandte er sich ihm zu.

„Zum Flughafen bitte“, sagte sein Fahrgast und lehnte sich erleichtert in die Polster zurück.

„Was ist los … da?“, fragt der Fahrer Landorff mit ausländischem Akzent und deutete voraus.

„Keine Ahnung, wahrscheinlich eine Gasexplosion.“ Landorff bemerkte, wie sehr seine Hände zitterten, und er versteckte sie zwischen seinen Oberschenkeln.

Der Fahrer nickte, wendete das Taxi und beschleunigte.

 

Das Modul E lag ganz am Ende der Flugsteige von Terminal 1 und war erfahrungsgemäß weniger frequentiert als alle anderen, wie Landorff von früheren Treffen am Flughafen wusste. Das hatte den Vorteil, dass es leichter zu überblicken war.

Vorsichtshalber ließ er jedoch das Taxi bei Modul C anhalten und schickte den Fahrer weg. Erst als der Wagen in der Ferne verschwunden war, ging er hinein und bog in den Verbindungsgang zwischen den Modulen ein. Eine italienische Reisegruppe kam ihm entgegen, die offenbar die bayrische Provinz mit dem Strand von Caorle verwechselte und aufgeregt durcheinanderschrie. Landorff schlängelte sich zwischen den bunten Hemden hindurch und lief hinüber zu Modul D, wo es bedeutend ruhiger war.

Die Passagiere einer Maschine aus London strömten durch die Schiebetüre, wartende Angehörige winkten frenetisch, Firmenchauffeure schwenkten kleine Plakate mit groß geschriebenen Namen.

Das Übliche. Beruhigende Normalität.

Im Modul E warteten einige Zeitungsleser auf die Ankunft ihrer Angehörigen und zwei Kinder tollten durch den Raum. Landorff warf einen vorsichtigen Blick nach draußen. Ein paar Kleinbusse von Hotels aus den Voralpen, ein Polizeifahrzeug mit zwei lesenden Beamten, davor ein Reisebus aus Garmisch-Partenkirchen.

Alexandra war noch nicht da.

Nach einem Augenblick des Überlegens machte sich Landorff auf den Weg zu den Toiletten, sperrte sich in eine der Kabinen ein und lehnte sich gegen die Wand. Alles war still. Er schloss erschöpft die Augen, doch die Bilder wollten nicht verblassen.

Der Krater und die Leichenteile.

Schreiende Menschen am Boden.

Matzes fröhliches Winken Sekunden vor dem Feuerball.

Fensterhöhlen in den Wänden der Werkstatt, zersplitterte Türen und ein halb eingestürztes Dach.

Ein Kaleidoskop, das sich immer schneller drehte.

Als Landorff hörte, wie die Tür einer Kabine geöffnet wurde, stieß er sich ab und lauschte mit angehaltenem Atem. Als der Neuankömmling seine Kabine verriegelte, huschte Landorff aus seiner und eilte in die Ankunftshalle. Er musste sich zusammenreißen und schlenderte langsam, wie zufällig, an den Schiebetüren vorbei, warf einen Blick auf die kleine Parkbucht.

Der schwarze 7er-BMW hielt gerade vor dem Ausflugbus, Alex parkte ein und Landorff lief los, riss die Beifahrertür auf, ließ sich auf den Sitz fallen.

„Nichts wie weg!“, zischte er und Alexandra überlegte nicht lange. Die schwere Limousine drängte vorwärts. Landorff ließ die Parkbucht, die hinter dem Wagen immer kleiner wurde, nicht aus den Augen.

Niemand folgte ihnen.

„Wir sind jetzt zwar auf allen Überwachungskameras zwischen Autobahnausfahrt und Flughafengelände zu sehen, aber man kann nicht alles haben.“ Landorff warf seine Tasche auf den Rücksitz und hatte das Gefühl, zum ersten Mal seit dem Anschlag tief auszuatmen. „Wenn Matze meinen Mercedes nicht zugeparkt hätte, wäre ich nicht mehr hier“, erklärte er Alexandra. „So hat er ihn gestartet und nicht ich, ein schwerer Lkw hat den größten Teil der Druckwelle abgefangen, der fuhr genau zum Zeitpunkt der Explosion an mir vorbei. Und ich hab mich noch geärgert über den rücksichtslosen Fahrer …“

Er zeigte nach links.

„Nimm die Straße Richtung Erding, wir verschwinden über die Dörfer.“

Leseprobe "Das Tartarus Projekt" 2

Doch dann wird der Gastgeber der elitären Party in den frühen Morgenstunden gefunden. Oder das, was von Gregory Winter noch übrig ist, nachdem er an den Heizkörper gefesselt, gefoltert und dann angezunden wurde. Nach wenigen Stunden wird klar - Michael Landorff und eine Pokerspielerin namens Alexandra Buschmann waren die einzigen, die weder den Gastgeber, noch irgendeinen der Party-People kannten. Und trotzdem einen Einladung im Briefkasten vorfanden... Wollte der Gastgeber sicherstellen, dass jemand unabhängig von der Polizei seinen Tod aufklärt? So macht sich Michael Landorff auf den Weg zur Mutter des Gastgebers, Maria Winter.


"Maria Winter sah besser aus als am Tag zuvor. Sie war zwar noch immer etwas fahrig in ihren Bewegungen, als sie die gute Kaffeekanne mit passenden Tassen aus der Vitrine holte, aber ihre Augen waren wieder klar und weniger verweint.

„Nehmen Sie ihn mit Milch und Zucker?“, fragte sie Landorff und ihre Stimme zitterte ein wenig.

„Volles Programm, bitte“, nickte er. „Haben Sie eigentlich gewusst, womit Ihr Sohn sein Geld verdient?“

Der Kopf der alten Dame wackelte etwas von links nach rechts, wie ein Pendel.

„Ach, ich habe von diesen Dingen nicht viel Ahnung. Gregory hat einmal versucht, mir das zu erklären, aber ich habe nach einigen Minuten nicht mehr zugehört.“ Sie lächelte ein wenig. „Das können wir alten Menschen ganz gut. Ein verständnisvolles Gesicht machen und an etwas ganz anderes denken.“

Unwillkürlich fiel Landorff seine eigene Mutter ein. Wie wahr …

„Ihnen ist aber schon klar, dass Ihr Sohn nach dem Verkauf seines Unternehmens ein reicher Mann war“, meinte Landorff, schnupperte am Kaffee und setzte hinzu: „Der riecht köstlich!“

„Ein guter Bohnenkaffee, etwas Kakao, Malzkaffee, eine Prise Salz und entkalktes Wasser“, dozierte Mutter Winter stolz und ihre Augen leuchteten kurz. „Ich habe mir nie viel aus Geld gemacht, wissen Sie? Mein Mann, Gregorys Vater, ist früh gestorben und hat uns eine Rente und ein wenig Anlagevermögen hinterlassen. Ich habe halbtags gearbeitet und wir hatten nie große Ansprüche. Mein Sohn zog mit achtzehn von zu Hause aus und hat danach nie mehr etwas von mir angenommen.“

Sie blickte irgendwie verloren aus dem Fenster, durch das man ein Stück blauen Himmel sah, über den sich weiße Schäfchenwolken schoben.

„Wir reden hier über einige Hundert Millionen Euro, manche sprechen sogar von einer Milliarde“, versuchte Landorff zu erklären.

„Das ist so unvorstellbar für mich, dass ich gar nicht darüber nachdenken will“, meinte Maria Winter kategorisch und schob ihm einen Teller mit Keksen zu. „Greifen Sie zu, die hatte Gregory auch immer so gern ...“ Ihre Stimme versiegte und sie schluchzte, holte ein Taschentuch hervor und hielt es sich vors Gesicht.

„War die Polizei nochmals bei Ihnen?“, wollte Landorff wissen. „Dieser Kroning?“

Sie schüttelte den Kopf, schluchzte noch ein bisschen und schniefte dann. „Nein, er hat mir seine Visitenkarte dagelassen, das war alles.“

„Wie gut können Sie mit Ihrer Enkelin, mit Shaneya?“ 

Ihr Gesichtsausdruck sagte alles. „Die Enttäuschung meines Lebens. Ich weiß nicht, woran es liegt … Vielleicht fehlt dem Mädchen die Mutter und Gregory ist auch nicht oft zu Hause. Nicht oft genug, so scheint es. Shaneya ist weder nach ihrer Mutter noch nach ihrem Vater gekommen. Eher haben ihr die verschiedenen Kindermädchen Flausen in den Kopf gesetzt.“

Landorff hielt das für sehr vornehm ausgedrückt für ein Gör, das über jedes männliche Wesen herfiel, das nicht bei drei auf dem Baum war.

„Aber es sieht so aus, als hätte sie ihr Vater auch sehr verwöhnt“, gab er zu bedenken. „Welches Mädchen bekommt schon einen Sportwagen zum 18. Geburtstag und läuft in teuren Designerklamotten zum Einkaufen?“

„Ich denke, mein Sohn wollte damit einiges wiedergutmachen, was er in den Jahren zuvor falsch gemacht hat.“ Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück. „Den Tod von Andrea hat er nie ganz überwunden, auch wenn er es nicht zugeben konnte. Sie war ein feiner Mensch, obwohl wir nicht immer einer Meinung waren.“

„Gab es außer Andrea eine andere Frau im Leben Ihres Sohnes? Hat er Ihnen jemals davon erzählt.“

Maria Winter schüttelte stumm den Kopf. Sie knetet das Taschentuch in ihrer Hand und Landorff sah ihr an, wie schwer es ihr fiel, nicht die Fassung zu verlieren. „Da gab es niemanden. Er hat immer so viel gearbeitet, auch an den Wochenenden, war viel auf Reisen. In seinem Leben hatten Frauen keinen Platz.“

„Oder er räumte ihnen keinen ein“, gab Landorff zu bedenken.  

„Ja, das kann schon sein …“, meinte sie leise und bedächtig. „Oder so.“

Für einige Minuten hingen beide ihren Gedanken nach.

„Was haben Sie eigentlich mit dem Tod meines Sohns zu tun?“, fragte Maria Winter unvermittelt. „Ich meine, warum interessieren Sie sich so für sein Leben?“

„Weil ich herausfinden will, wer es getan hat“, befolgte Landorff eine seiner ältesten Regeln: Wenn möglich so nahe an der Wahrheit bleiben, wie es nur geht. „Ich war Gast bei der Party, die vorgestern Abend von Ihrem Sohn organisiert wurde. Allerdings weiß ich nicht so genau, wie ich zu der Ehre gekommen bin. In meinem Postkasten lag eines Tages die Einladung.“ Er zog etwas ratlos die Schultern hoch. „Vorher habe ich Ihren Sohn nie getroffen. Zwar ein paar Artikel über ihn gelesen, ihn aber niemals persönlich kennengelernt. Also weiß ich nicht, wieso er ausgerechnet auf mich kam.“

„Nun, glauben Sie mir, mein Sohn tat niemals etwas grundlos“, stellte Maria Winter entschieden fest. „Das wäre gegen seine Überzeugung gewesen. Wenn jemand rational und durch und durch logisch dachte, dann war es Gregory. Vielleicht hat er deshalb nach Andrea keine Frau mehr gefunden.“

Das verwirrte Landorff, der sich bereits seit Tagen sein Hirn zermarterte, um Anknüpfungspunkt zum Leben von Gregory Winter zu finden.

Vergebens.

„Ich möchte Sie nicht einfach so hinauswerfen, aber ich muss mich um die Beerdigung meines Sohns kümmern“, sagte sie unvermittelt und ihre Finger verschränken sich so fest ineinander, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. 

„Nein, nein, das verstehe ich schon, verzeihen Sie bitte, dass ich so lange gestört habe“, beruhigte Landorff sie. „Allerdings wird es sicher noch einige Zeit dauern, bis die Untersuchungen abgeschlossen sind und die Leiche Ihres Sohnes freigegeben wird.“

Sie sah ihn mit einem seltsam kalten Blick an. „Das weiß ich auch, aber was soll ich denn sonst machen?“

Da er darauf auch keine Antwort wusste, bedankte er sich für den Kaffee, verabschiedete sich und lief die Treppen hinunter.

            Als er auf die Straße trat, erwartete er irgendwie, die Brünette zu treffen, die ihn ein Loch in den Bauch fragen würde. Doch da war niemand. In der warmen Nachmittagsluft schwirrten Dutzende Mauersegler zwischen den Häusern, Menschen hasteten vorbei, ohne ihn zu beachten. Selbst das Sushi-Lokal hatte bereits geschlossen und drohte damit, erst wieder abends seine Tore zu öffnen.

Landorff trabte los. In Gedanken ließ er das Gespräch nochmals Revue passieren, versuchte es in einen Zusammenhang mit den anderen Fakten zu bringen.

Und scheiterte.

Da war etwas, das im Hintergrund blieb, sich versteckte, wie unter einem Tarnmäntelchen, und sich ins Fäustchen lachte.

Und Landorff hatte keine Ahnung, was es war.

                  

Auf dem Weg zurück zur Parkgarage gingen ihm der junge Kevin Zahlmann und dessen Tod nicht aus dem Sinn. Einbetoniert und die Zunge herausgeschnitten … ein wenig viel an Klischee. Davon war selbst die sizilianische Mafia inzwischen wieder abgekommen.  

Wer wollte damit wem etwas mitteilen? Spätestens wenn die ersten Reporter am Tatort die Fakten sammeln würden, gab es kein Halten mehr. Die grauenhaften Details würden genüsslich in sämtlichen Blättern breitgetreten werden. Und so in Windeseile den skurrilen Tod deutschlandweit bekannt machen.

War genau das geplant?

Oder hatte der junge Zahlmann tatsächlich etwas gesehen, das er nicht hätte sehen sollen?

Aber dann hätte es ein einfacher Schuss auch getan und keine aufwendige Aktion auf einer Baustelle mit dem Risiko, dabei überrascht zu werden.

Ratlos zog Landorff während des Gehens die Gästeliste aus seiner Tasche und überflog sie. Melissa hatte recht. Er kannte niemanden aus der Münchner Schickeria. Natürlich hatte er hie und da ein paar Namen in den Gesellschaftskolumnen aufgeschnappt, aber es fehlten ihm die Gesichter dazu. Es war nicht seine Welt. Dann kam ihm eine Idee: Ich sollte mich auf jene konzentrieren, die Melissa nicht kennt, dachte er. Denn genau die könnten interessant sein.

Also zog er sein Handy aus der Tasche und wählte erneut die Nummer seiner Agentin.

„Hast du schon wieder einen Auftrag für eine Undercover-Aktion für mich?“, begrüßte sie ihn diesmal leicht verstimmt.

„Kommt noch, nur nicht ungeduldig werden“, gab Landorff zurück. „Ich hab dir vor einigen Minuten die Seiten der Gästeliste von Winters Party zugemailt. Kannst du mal die Namen überfliegen und mir sagen, wen du nicht kennst?“

„Ist das jetzt ein Scherz oder bist du betrunken?“, erkundigte sich Melissa mit der ihr eigenen Direktheit. „Ich wette, ich kenne alle auf der Liste. Ich kenne ja sogar dich …“

„Herzlichen Dank, du tust mir soo gut“, knurrte Landorff, während zwei spielende Kinder in der Fußgängerzone versuchten, ihn mit Mini-Fahrrädern in die Enge zu treiben. „Kannst du trotzdem rasch drüberschauen?“

Melissa seufzte theatralisch. „Also gut, für dich. Ich hab ja sonst nichts zu tun. Wirfst du auch ab und zu einen Blick in deinen Online-Kalender? Vergiss den Termin am Freitag nicht.“

„Jaja, ich weiß, der irische Abend mit dem Bürgermeister.“ Landorff räusperte sich. Der wäre ihm glatt entfallen. Er hatte in der Zwischenzeit schon wieder vergessen, wie er überhaupt an diesen verdammten Kalender kommen sollte. Doch da konnte Petra, die Profil-Fälscherin, sicher helfen. Instinktiv kramte er in seinen Taschen nach ihrer Visitenkarte.

„Und? Was sagt die Society-Expertin?“

„Wie ich es mir dachte“, murmelt Melissa vor sich hin, „kein einziger Unbekannter in der Liste. Alles die üblichen Verdächtigen.“

Naja, dachte Landorff, den Versuch war es wert gewesen …

„Warte mal, da ist jemand, von dem ich tatsächlich noch nie etwas gehört habe.“ Melissa klang fast ein wenig aufgeregt. „Alexandra D. Buschmann. Der Name sagt mir gar nichts. Ist aber auch der einzige“, setzte sie nach einem Augenblick entschuldigend hinzu.

„Danke, das war auch schon alles für den Moment“, gab Landorff zurück, legte rasch auf und verhinderte damit eine Diskussion über seine nächsten Termine.

Also Alexandra Buschmann und Michael Landorff. Zwei Leute, die nicht ins Konzept passten. Schnell hatte er den Eintrag auf der Liste gefunden: „Alexandra B. Buschmann, Bodenkirchen.“ Na gut, nicht gerade der Nabel der Welt. Er überlegte kurz. Das war im Nirgendwo, gleich neben Vilsbiburg oder Velden, da drüben an der Grenze zu Niederbayern.

Google Maps wusste es genauer. Bodenkirchen lag eine gute Stunde Fahrt von der Münchner Stadtgrenze entfernt in Richtung Osten. Für Münchner tiefste Provinz.

Eine rasche Personensuche zum Namen Buschmann brachte wenig Details, aber dafür zumindest eine Telefonnummer.

„Buschmann?“, meldete sich auch prompt eine angenehme Stimme, die unternehmungslustig und gut aufgelegt klang.

Nach einem kurzen internen Kampf entschied sich Landorff für seinen wahren Namen. Petra hin oder her.

„Mein Name ist Michael Landorff und es tut mir leid, falls ich Sie stören sollte. Wir waren beide auf der Party von Gregory Winter vor zwei Tagen eingeladen und haben laut meiner Agentin eines gemeinsam – wir passen nicht zum Rest der Truppe.“

Andrea Buschmann lachte ein ansteckendes Lachen. „Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, gestand sie unumwunden. „Sie haben eine Agentin? Wie interessant. Im Sinne von geheim oder so …?“

„Ach was, im Sinne von Literatur“, beschwichtigte Landorff sie und begann zu erzählen. Von der Einladung in seinem Briefkasten, von Gregory Winter und seinem heißen Ableben, von dem bis zum Hals in Beton steckenden Zahlmann Junior und der Gästeliste als ein Who is Who der Münchner oberen Zweihundert. „Auf der nur wir beide eine Ausnahme bilden ...“

„Unglaublich“, meinte sie nach einem kurzen Augenblick. „Ich habe die Einladung – wie Sie ebenfalls – an meine Heimadresse zugestellt bekommen, ich glaube von einer dieser Post-Alternativen, die es heute gibt. Bin da aber nicht mehr so sicher, was das betrifft. Zu Winters Party bin ich dann gegangen, weil ich neugierig war und an dem Abend keinen Termin hatte. Und ganz ehrlich: Bis auf eine Handvoll Leute habe ich überhaupt niemanden erkannt. Und auch die waren mir nur vom Lokalfernsehen oder aus der Zeitung ein Begriff. Aber andererseits, das Essen war gut und der Wein sensationell …“ Sie lachte wieder und es machte sie auf Anhieb sympathisch.

„Ich bin Autor und Journalist“, stellte Landorff fest, „und das Buffet war in der Tat ausgezeichnet. Touché. Ich habe mich zwar mehr an den Whisky gehalten, aber sonst ging es mir wie Ihnen. Ich habe keine Ahnung, warum Winter mich eingeladen hat. Ich habe ihn vorher jedenfalls nie getroffen. Was treiben Sie so, wenn Sie nicht bei der Schicki-Micki-Truppe eingeladen sind und helfen, Zahlmann-Buffets zu leeren?“

„Ich verdiene meinen Lebensunterhalt meist Nachts“, antwortete sie und lachte kehlig. „Ich bin professionelle Pokerspielerin.“"

Leseprobe "Das Tartarus Projekt" 1

 Der neue Thriller, in dessen Mittelpunkt ein ziemlich erfolgloser Autor namens Michael Landorff und eine professionelle Pokerspielerin steht, beginnt ganz und gar nicht aufregend - auf einer Party. Dort findet Landorff in Person von Melissa Warttemberg eine neue Agentin, nachdem sich sein Agent nach Marokko abgesetzt hatte und sich nur mehr in Form von Ansichtskarten ab und zu meldet. Warttemberg, erfolgreiche Marketingexpertin mit einem vollen Portfolio an Prominenz und Marken, nimmt das "Projekt Landorff" mit der ihr eigenen Art in Angriff. Sie läßt keinen Stein auf dem anderen....

 

"Es gibt Häuser, die man gerne selbst hätte, dachte Landorff und blickte an der Fassade hoch. Dann gibt es solche, die bleiben für immer Traumhäuser und man weiß es. Weil sie einfach eine Nummer zu groß, einen Tick zu weit weg oder schlicht und einfach bereits seit Generationen in ein und derselben Hand sind. Und schließlich sind da noch Häuser, die man mit offenem Mund bestaunt, völlig hin und weg ist, aber die man nicht haben will, weil die monatlichen Nebenkosten jenen Kleinkredit verschlingen, den man sowieso nicht bekommt.

In einem Palast der letzten Kategorie lag das Büro von Melissa Warttemberg. Die Mischung von alter Bausubstanz mit Glas, Edelstahl und Sichtbeton trug die Handschrift eines prominenten Architekten, der sonst nur Regierungsgebäude oder Nobelhotels konzipierte, aber eine Ausnahme machte, wenn man ihn persönlich kannte, auf Knien die Stufen zu seinem Büro hochrutschte und dabei noch das nötige Großgeld vor sich her schob.

Das Penthouse mit Blick auf halb Schwabing, inklusive des Englischen Gartens als grüner Fußabstreifer, wurde wohl als Perle in der silbernen Auster konzipiert. Als Landorff aus dem Fahrstuhl ausstieg und vor dem atemberaubenden Ausblick durch die Panoramascheiben stand, hatte er das Gefühl zu schweben und ihm fehlten die Worte. Vor allem, als sein Blick auf den ausladenden Empfang fiel, wo zwei ehemalige Miss-World-Kandidatinnen um die Wette lächelten – gleich neben einer lebensgroßen Pappmascheefigur von Heino, die schwarz behandschuhte Faust mit dem Mikrofon angriffslustig vorgestreckt.

„Guten Morgen“, flötet eine der beiden. „Sie werden erwartet?“

Landorff nickte und bemerkte den Restalkohol, der seinen Kopf schwer machte und träge in meinem Gehirn hin und her zu schwappen schien.

„Ich komme zu Melissa … ich meine Frau Warttemberg. Wir haben einen Termin um zehn.“

„Ooh, dann haben Sie ja noch ein wenig Zeit“, hauchte die Grazie nach einem kurzen Blick auf ihre Armbanduhr. „Möchten Sie inzwischen einen Kaffee?“ Sie wies auf eine riesige Ledergarnitur, die für ein Sit-in gereicht hätte.

„Schwarz, stark, heiß und groß“, regte Landorff an, worauf ihn die Empfangsdame anstrahlte und begeistert nickte. „Kommt sofort!“

Wer allerdings tatsächlich sofort kam, war Melissa, in schickem Business-Kostüm und trendigem tibetanischen Schal. Wahrscheinlich ein Geschenk des Dalai Lama und signiert, vermutete Landorff insgeheim.

„Du bist ja schon da!“, wunderte sie sich, betrachtete misstrauisch die große Sporttasche in Landorffs Hand und schob ihn unzeremoniell durch die Glastür in Richtung Allerheiligstes. „Immer geradeaus. Bist du noch lange auf der Party geblieben?“

„Nur bis die beste Whisky-Flasche leer war“, meinte Landorff und verzog das Gesicht. Die Kopfschmerzen setzten ein. „Bin im Garten zu einer Runde von Wissenschaftlern gestoßen, die sich über irgendwelche unbekannten Krankheiten unterhalten haben. Meist auf Latein. Hat mich aber nicht gestört, da trinkt es sich ruhiger. Und du?“

„Ich bin nach einem interessanten Gespräch mit dem Innensenator so schnell wie möglich verschwunden. Wusstest du, dass die Stadt eine Imagekampagne plant?“ Melissas Lachen war ansteckend. „Wir haben noch schnell ein Brainstorming vereinbart, bevor Winter mich nach Hause gebracht hat. Ich denke, der ganze Auftrieb ging ihm auf die Nerven und er nahm einen Kurzurlaub von seiner eigenen Party.“

„Hatte er da sein Töchterchen schon wieder unter Kontrolle?“

„Ich vermute, er hat sie eingesperrt, den Schlüssel weggeworfen und den Gorilla in den Zoo zurückgeschickt“, lachte Melissa und mit einem Blick auf meine Sporttasche: „Gehst du nachher zum Training?“ Sie stieß die Tür zu ihrem Büro auf, das die Ausmaße einer Junggesellenwohnung hatte.

„Nichts liegt mir ferner“, brummte Landorff und ließ die Sporttasche auf den ovalen Sitzungstisch fallen. „Ich halte es mit Winston Churchill: Sport ist Mord. Lass dich nicht von der Verpackung täuschen. Du wolltest meine Bücher, nun, hier sind sie. Außerdem der Lebenslauf, ein Interview, Zeitungsausschnitte, alles wie gewünscht.“

Ein wenig stolz holte er die Schmöker aus der Tasche und baute einen Stapel von 4600 Seiten auf.

„Soll ich das alles lesen?“, fragte Melissa verwundert und wog das oberste Werk in ihrer Hand. „Fast ein Kilo Papier für …“ – sie ließ die letzten Blätter durch ihre Finger gleiten – „… 804 Seiten. Das muss alles kürzer werden.“

Der Thriller knallte zurück auf die Tischplatte.

„Wer hat heute noch so viel Zeit? Zwischen Blog und Twitter, Facebook und Xing, SMS, Kik, YouTube und Google News soll ich noch 804 Seiten lesen? Vom Fernsehen ganz zu schweigen ...“

„Sag mal, musst du mir jeden Tag eine Depression stricken?“, ärgerte sich Landorff und legte auch noch die drei Taschenbücher auf den Stapel. Fast ein Laufmeter Geschichten, dachte er, viel Arbeit in den letzten neun Jahren.

„Beängstigend“, meinte Melissa kopfschüttelnd. „Da liegt noch viel Arbeit vor uns.“

Der Kaffee wurde serviert und die Empfangsdame stellte unaufgefordert eine Kanne Früchtetee daneben, dann noch Plätzchen und einige Sandwiches.

„Wie meinst du das?“, erkundigte sich Landorff, während er andächtig das tiefschwarze köstliche Gebräu schlürfte.

„Literatur muss heute leicht konsumierbar sein“, begann Melissa, „egal, was es ist oder worum es sich dreht. Kurz, prägnant, klipp und klar, einprägsam. Ideale Seitenanzahl 180 bis 220, in U-Bahn-fähige Abschnitte eingeteilt.“

„Häh?“

„Fünf Stationen à drei Minuten ergibt maximal eine Viertelstunde“, erklärte Melissa geduldig. „Länger fahren nur Pendler. Und die spielen meist auf ihrem Handy und lesen keine Schinken, schon gar nicht so schwere Hardcover. Wie soll man die überhaupt transportieren? Handtaschen sind groß, aber bereits überfüllt mit allem, was frau so tagsüber braucht. Inklusive kleiner Zwischenmahlzeiten. Und Männer schauen sowieso eher Bilder an. Wenn die wirklich lesen, dann muss es um spärlich bekleidete Frauen, schnelle Autos oder Hardcore-Grillen, Fußball und eiskaltes Bier gehen. In dieser Reihenfolge. Oder?“ Sie zog spöttisch die Augenbrauen hoch und sah Landorff fragend an.

„Was in deinen Büchern ja wohl nur am Rand der Fall ist“, schloss sie messerscharf.

„Ja, aber meine Geschichten sind nun mal lang und können nicht auf ein paar Seiten erzählt werden“, wagte Landorff einen Einwurf.

„Papperlapapp, jede gute Geschichte kann in einem Satz zusammengefasst werden.“ Melissa schnupperte an den Sandwiches. „Außerdem kommt es sowieso nicht darauf an, was genau zwischen den beiden Buchdeckeln steht, sondern darauf, wie gut man es verkauft. Es ist ein Spiel mit einfachen Regeln. Hier gewinnt der, der am meisten Bücher unters Volk gebracht hat. Und nicht der, der mit fliegenden Druckfahnen intellektuell gut aussehend untergeht.“

„Du meinst, egal was für ein Blödsinn, Hauptsache die Werbekampagne stimmt?“ Landorff war knapp davor, seine Bücher wieder in der Sporttasche zu verpacken und gebückt nach Hause zu schleichen.

„Soll ich dir Beispiele nennen oder kommst du selbst drauf? Jeden Tag erscheinen Machwerke, die die Welt nicht braucht, die aber trotzdem in sechsstelligen Auflagezahlen verkauft werden.“ Mit spitzen Fingern deutete Melissa auf den Bücherturm. „Dein Ansatz ist komplett falsch und das müssen wir ändern. Damit beginnen wir.“ 

Es klang final, unabwendbar und Landorff fügte sich in sein Schicksal. „Wie stellst du dir das vor?“

Melissa blieb ihm die Antwort schuldig und fragte stattdessen: „Hast du deinen Lebenslauf mitgebracht?“

Er schob ihr das Blatt über den Tisch zu und seufzte leise. „Der wird dich nicht wirklich begeistern, das weiß ich jetzt schon. Zu wenig Skandale, keine Vorstrafen, abgeschlossene Schule, ja ich habe selbst brav den Dienst beim Heer abgeleistet und war nicht aktiv in der Friedensbewegung …“ 

 „Damit lässt sich kein Staat machen“, bestätigte Melissa unerbittlich, nachdem sie die Seite überflogen hatte. Die Liste segelte auf die Tischplatte. „Eklige Drogen? Publikumswirksame Verhaftungen? Skandalöse Schlagzeilen? Schmutzige Fotos? Ein Harem, über mehrere Länder verstreut? Uneheliche, kiffende Kinder? Insolvenz und Gerichtsvollzieher?“

Landorff schüttelte nur stumm den Kopf.

„Du machst es mir nicht leicht. Also müssen wir improvisieren und etwas aus dem Boden stampfen. Du brauchst eine neue Vita.“

„Was ist so schlecht an der alten?“, wagte er einen matten Einwurf. „Die begleitet mich jetzt schon fast fünfzig Jahre lang. Gute Schulbildung, Studium, Ausbildung zum Journalisten, Job bei einer Nachrichtenagentur, beim Fernsehen und und und ...“

„Das reißt keinen vom Hocker, das ist langweilig, alltäglich, nicht bunt genug für einen Bestsellerautor.“

„Ich kann ja nicht …“

„Du kannst!“, unterbrach ihn Melissa bestimmt und griff nach dem Telefon. „Und außerdem ist dein Outfit grottig. Petra? Kannst du bitte mal raufkommen?“

„Was heißt hier grottig?“, erkundigte sich Landorff pikiert. „Was stört dich an meiner Kleidung? Und wer ist Petra?“

„Petra ist meine Spezialistin fürs Aufbereiten von Lebensläufen“, meinte Melissa, als wäre es das Natürlichste der Welt. „Du glaubst ja gar nicht, was sich alles so aus der Vergangenheit von Menschen machen lässt, wenn man nur ein wenig sucht. Und ein wenig … anders bewertet, umschreibt oder übertreibt.“ Sie lachte. „Gilt für Firmen übrigens genauso. Wer will schon wissen, dass der Wert der Aktien seit Monaten auf Talfahrt ist? Klingt da Konsolidierung nicht besser? Oder Marktbereinigung?“

„Verstehe“, murmelte Landorff griesgrämig.

„Aber grottig heißt trotzdem grottig.“ Melissa mustert ihn von oben bis unten. „Du brauchst einen unverwechselbaren Stil und nicht dieses Kik-Desaster.“

„Lindenberg-Hut, maßgeschneiderter Kilt und Laufschuhe in pink?“, schlug Landorff stirnrunzelnd vor.

„Gar keine schlechte Idee, wenn wir das Darunter weglassen, ganz in der Tradition der Schotten, und du lässt dich von ein paar Paparazzi beim Aussteigen aus dem Auto fotografieren wie Paris Hilton.“ Melissa machte sich ein paar Notizen.

„Vergiss es!“, zischte Landorff und bereute augenblicklich seine blöde Bemerkung von vorhin. In diesem Moment schwang die Tür auf und die Lebenslauf-Fälscherin, wie er die ominöse Petra insgeheim getauft hatte, schwebte ins Büro. Langbeinig und schlank konnte sie auch als Besitzerin eines Schönheitssalons in der Münchner Innenstadt durchgehen. Brille, kurze Haare, Hosenanzug von Zara und High Heels, die Landorff schon beim bloßen Hinsehen Fußschmerzen verursachten.

Ihr strahlendes „Hallo!“ inmitten einer dezenten Parfümwolke war entweder perfekt einstudiert oder angeboren, dachte Landorff. Auf jeden Fall hinreißend.

„Wir haben hier ein neues Projekt, Petra, und das erfordert unsere gesamte Aufmerksamkeit. Herr Landorff ist Thriller-Autor.“ Melissa deutet auf den Bücherturm. „Zu viele Seiten, mitreißende Geschichten, zu wenig Verkäufe, hilflose Ex-Agenten, desinteressierte Verlage.“

Ich hätte es in dieser Kürze nicht besser auf den Punkt bringen können, dachte Landorff und sein Selbstbewusstsein sank.

Petra hingegen lächelt wissend und nickte verstehend."

 

Buchvorstellung "Das Tartarus Projekt"

 Am 29. September ist es soweit: mein neuer Thriller wird in der Buchhandlung Thalia in Wien-Mitte vorgestellt. Ueberreuter und ich, wir setzen darauf, dass sich die Covid19-Situation nicht verschlechtert und die Veranstaltung stattfinden kann. Bitte MuNaske mitbringen, Abstand halten, und ansonst hoffe ich, wir haben viel Spaß.  Wie viele tatsächlich im Saal Platz finden werden, das steht in den Sternen. 

Trotzdem - bitte fühlen Sie sich herzlich eingeladen, weitere Lesungen werden angesichts der Situation im neuen Jahr folgen. Ueberreuter ist sehr rührig und bemüht sich um Termine in Buchandlungen, auf Krimifestivals und Buchmessen.